Viel Tastendonner und Momente der Zartheit

Pianistin Meryem Natalie Akdenizli am Klavier

Ihre Karriere begann an der Freien Musikschule auf dem Engelberg – mittlerweile ist Meryem Natalie Akdenizli zu einer Klavier-Virtuosin gediehen, die den ganz großen Tastendonner zu inszenieren weiß. Bild: Privat

Sie gibt öfters Gesprächskonzerte und erläutert Schülern die klassische Musik. Auch bei ihrer Matinee auf dem Engelberg sollte dies so sein. Doch dann hält sich Meryem Natalie Akdenizli nicht mit Erläuterungen auf, lässt die Musik für sich sprechen und legt die Schwerpunkte auf technisch brillantes, betont virtuoses Spiel.

Ihre Karriere begann hier, an der Freien Musikschule Ekkehard
Hessenbruchs, bei dem sie Kammermusikklassen besuchte. Meryem Natalie Akdenizli gewann bei „Jugend musiziert“ so ziemlich alles, was es zu holen gibt, unter anderem 1994 und 1997 (mit ihrem Klaviertrio) 1. Preise auf Bundesebene. Sie wurde gefördert von der Kunststiftung des Landes, der Kreissparkasse Böblingen, dem Deutschen Musikrat. Internationale Preise folgten, die junge Türkin nahm als Solistin an Konzerten des Jugend-Sinfonieorchesters Stuttgart und des Jungen Kammerorchesters Stuttgart in der Liederhalle oder dem Leipziger Gewandhaus teil, konzertierte auch schon in den USA, wurde von türkischen und deutschen Rundfunk- und Fernsehanstalten ausgestrahlt.

Und jetzt hält sie es offenbar für an der Zeit, gerade an der Stätte einstiger Lehrjahre die längst erworbene Meisterlichkeit zu zeigen, mit Fleiß, mit Stolz. Ihr Matinee-Programm im Saal der Freien Musikschule auf dem Engelberg blendet geradezu durch technischen Anspruch und höchste Schwierigkeitsgrade.

Ein Abriss aller Musikepochen vom Barock bis zur Moderne, wie vorab versprochen – freilich nicht mit didaktischer Absicht, sondern mit der Betonung auf eigene spielerische Fähigkeiten. Wobei Akdenizli die Romantik besonders liegen dürfte. Schon in Bach „Chromatischer Fantasie und Fuge d-Moll“ spielt sie die Fantasie mit Chopinscher Agogik, interessiert an chromatischen Verstrickungen, die bisweilen etwas affektiert, etwas zu verästelt geraten. Doch dann fängt sie sich in der Fuge und findet zu Bachs Metrum, auf das sie freilich eher zu meditieren scheint, als sich seiner formalen Strenge unterzuordnen. Bach mit persönlicher, eigenwilliger Note.

Das setzt sich in Haydns Es-Dur-Sonate Hob. XVI Nr. 52 fort. Die junge Türkin stellt wieder Eigenes, Emotionales über die Erarbeitung klassischer Struktur, besticht mit frischen, lebendigen Ideen zum Tempo und zur Dynamik. Und sie hat gut gewählt, die Sonate wirkt so gar nicht lieblich, wie fälschlicherweise viel zu oft von Haydn erwartet wird, sondern apart, technisch überaus anspruchsvoll. Vor allem das Presto gestaltet Akdenizli als Fingerübung, die schon auf das Folgende weist, den womöglich noch größeren Klavier- Kraftakt: Chopins a-Moll-Etüde Nr. 11 aus op. 25. Ein pianistischer Sprint, eine Herausforderung gestalterisch wie fingertechnisch, die an die Revolutionsetüde aus op. 10 erinnert. Und Akdenizli scheut keine dynamische Verausgabung, schont weder sich noch die Tasten und nimmt in den Höhen auch klirrende Klänge in Kauf.

Virtuosität pur auch im zweiten Teil bei „Toccata – Fantasia“ des Zeitgenossen Janez Maticic, wo Akdenizlis akkordisches Hämmern, auch mal mit dem ganzen Arm, mit wenigen, lang ausklingenden Tönen abwechselt; oder im Finale bei Liszts „Rhapsodie espagnole“, wo virtuoses Arpeggio von dramatischen Zäsuren unterbrochen und um romantischhispanoide Melodik im Walzertakt variiert wird.

Wie wär’s mit Impressionisten? Nur in zwei Stücken impressionistischer Komponisten vertieft die Pianistin zarte, elegische Empfindungen: in „Ondine“ aus Ravels „Gaspard de la nuit“ – ein still verhangenes Tropfen der Töne – und der Zugabe, Debussys „Das Mädchen mit den flachsblonden Haaren“. Und mancher findet, dass er von dieser ruhigeren Gangart durchaus auch mehr hätte hören wollen, gerne auf Kosten von ein wenig Tastendonner. Diese junge Pianistin wird uns also bei ihrem nächsten Konzert, auch ohne erläuternde Worte, noch vieles zu sagen haben. Und zwar nicht nur, wie gut sie spielen kann.

ZVW – Waiblinger Kreiszeitung vom 12.01.2010
http://www.zvw.de
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