„Wintersturm“ wurde zum Orkan

WELTKLASSIK Spannend, lebendig, virtuos: Meryemm Natalie Akdenizli in der Klosterkirche

Von Stefan Steinröhder

Remscheid. Wissen Sie, was ein Tastenlöwe ist? Das ist ein pianistisches Geschöpf, das die Musik vor Liszt als langweilig empfindet und sein Publikum dadurch für kurze Zeit fasziniert, dass es Chopins Minutenwalzer wie eine überdrehte Spieluhr in 20 Sekunden durchrattert.

Wie viel spannender, lebendiger und persönlicher die Berührung mit Musik sein kann, präsentierte am Sonntagnachmittag in der gut besuchten Klosterkirche im Rahmen der Reihe „Weltklassik am Klavier“ die Pianistin Meryem Natalie Akdenizli. Die junge Künstlerin – die mit einem Löwen nur die prächtige Haarmähne gemein hat – hatte neben den Schlachtrössern von Chopin und Liszt auch Bach, Haydn und Ravel gesattelt.

Und da eins ihrer „Hobbys“ nach eigenen Worten die Vermittlung zwischen Menschen und klassischer Musik ist, führte sie sympathisch, leicht verständlich und spontan in die Werke ein, verwies auf bedeutende und charakteristische Phrasen und gab die ein oder andere Anekdote aus dem Leben der Komponisten kund. Grandios dann der akustische Eindruck: In Bachs berühmter Fantasie und Fuge d-Moll gelang es Akdenizli, die quasi improvisierten, kurzen Phrasen zu einem homogenen Gesamten zu verbinden und die Fuge in allen drei Stimmen prägnant und ohne romantische Temporückungen zu gestalten.

Meryem Natalie Akdenizli sorgte in der Klosterkirche für ein fantastisches Konzerterlebnis. Foto: Michael Sieber

Dass der „alte“ Haydn ein Witzbold war – man denke an die Symphonie mit dem Paukenschlag – ist bekannt. Seine letzte Klaviersonate bordet geradezu über von kleinen Scherzen, Imitationen und Trugschlüssen. Akdenizli wählte zwar ein zügiges Tempo, fand aber genügend Zeit, Haydns Einfälle mit technischer Perfektion umzusetzen. Welches romantische Werk in ihrer Darbietung die Krone verdiente, ist schwer zu entscheiden: Chopins a-Moll Etüde „Wintersturm“ gestaltete sie zum rasendem Orkan, Ravels „Ondine“ zum traurig singendem Farbenspiel.

Vielleicht ist Liszts „Rhapsodie Espagnole“ dank der kräftig gestalteten Themen und fast irrwitzigem Temperament ihr Paradestück. Und wieder: Trotz aller hypertechnischen Meisterschaft ließ Meryem Natalie Akdenizli die Musik im Vordergrund, gab jeder Phrase Gewicht, jedem Anschlag einen Sinn. Große Begeisterung für ein grandioses Konzert.


Rezension des Konzerts a 20.06.2010 im Remscheider General-Anzeiger
Von Stefan Steinröhder
Remscheider General-Anzeiger 22.06.2010

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